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Kaum zu glauben

Es steht geschrieben

 

Letzte Aktualisierung: 04.06.2015 17:53

 

 


TOD JESU BESCHLOSSEN
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Johannes 11
1 Es lag aber einer krank mit Namen Lazarus, von Bethanien, in dem Flecken Marias und ihrer Schwester Martha.2 (Maria aber war, die den HERRN gesalbt hat mit Salbe und seine Füße getrocknet mit ihrem Haar; deren Bruder, Lazarus, war krank.)
3 Da sandten seine Schwestern zu ihm und ließen ihm sagen: HERR, siehe, den du liebhast, der liegt krank.
4 Da Jesus das hörte, sprach er: Die Krankheit ist nicht zum Tode, sondern zur Ehre Gottes, daß der Sohn Gottes dadurch geehrt werde.
5 Jesus aber hatte Martha lieb und ihre Schwester und Lazarus.
6 Als er nun hörte, daß er krank war, blieb er zwei Tage an dem Ort, da er war.
7 Darnach spricht er zu seinen Jüngern: Laßt uns wieder nach Judäa ziehen!
8 Seine Jünger sprachen zu ihm: Meister, jenes Mal wollten die Juden dich steinigen, und du willst wieder dahin ziehen?
9 Jesus antwortete: Sind nicht des Tages zwölf Stunden? Wer des Tages wandelt, der stößt sich nicht; denn er sieht das Licht dieser Welt.
10 Wer aber des Nachts wandelt, der stößt sich; denn es ist kein Licht in ihm.
11 Solches sagte er, und darnach spricht er zu ihnen: Lazarus, unser Freund, schläft; aber ich gehe hin, daß ich ihn auferwecke.
12 Da sprachen seine Jünger: HERR, schläft er, so wird's besser mit ihm.
13 Jesus aber sagte von seinem Tode; sie meinten aber, er redete vom leiblichen Schlaf.
14 Da sagte es ihnen Jesus frei heraus: Lazarus ist gestorben;
15 und ich bin froh um euretwillen, daß ich nicht dagewesen bin, auf daß ihr glaubt. Aber laßt uns zu ihm ziehen!
16 Da sprach Thomas, der genannt ist Zwilling, zu den Jüngern: Laßt uns mitziehen, daß wir mit ihm sterben!
17 Da kam Jesus und fand ihn, daß er schon vier Tage im Grabe gelegen hatte.
18 Bethanien aber war nahe bei Jerusalem, bei fünfzehn Feld Weges;
19 und viele Juden waren zu Martha und Maria gekommen, sie zu trösten über ihren Bruder.
20 Als Martha nun hörte, daß Jesus kommt, geht sie ihm entgegen; Maria aber blieb daheim sitzen.
21 Da sprach Martha zu Jesus: HERR, wärest du hier gewesen, mein Bruder wäre nicht gestorben!
22 Aber ich weiß auch noch, daß, was du bittest von Gott, das wird dir Gott geben.
23 Jesus spricht zu ihr: Dein Bruder soll auferstehen.
24 Martha spricht zu ihm: Ich weiß wohl, daß er auferstehen wird in der Auferstehung am Jüngsten Tage.
25 Jesus spricht zu ihr: Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, ob er gleich stürbe;
26 und wer da lebet und glaubet an mich, der wird nimmermehr sterben. Glaubst du das?
27 Sie spricht zu ihm: HERR, ja, ich glaube, daß du bist Christus, der Sohn Gottes, der in die Welt gekommen ist.
28 Und da sie das gesagt hatte, ging sie hin und rief ihre Schwester Maria heimlich und sprach: Der Meister ist da und ruft dich.
29 Dieselbe, als sie das hörte, stand sie eilend auf und kam zu ihm.
30 (Denn Jesus war noch nicht in den Flecken gekommen, sondern war noch an dem Ort, da ihm Martha war entgegengekommen.)
31 Die Juden, die bei ihr im Haus waren und sie trösteten, da sie sahen Maria, daß sie eilend aufstand und hinausging, folgten sie ihr nach und sprachen: Sie geht hin zum Grabe, daß sie daselbst weine.
32 Als nun Maria kam, da Jesus war, und sah ihn, fiel sie zu seinen Füßen und sprach zu ihm: HERR, wärest du hier gewesen, mein Bruder wäre nicht gestorben!
33 Als Jesus sie sah weinen und die Juden auch weinen, die mit ihr kamen, ergrimmte er im Geist und betrübte sich selbst
34 und sprach: Wo habt ihr ihn hingelegt? Sie sprachen zu ihm: HERR, komm und sieh es!
35 Und Jesus gingen die Augen über.
36 Da sprachen die Juden: Siehe, wie hat er ihn so liebgehabt!
37 Etliche aber unter ihnen sprachen: Konnte, der den Blinden die Augen aufgetan hat, nicht verschaffen, daß auch dieser nicht stürbe?
38 Da ergrimmte Jesus abermals in sich selbst und kam zum Grabe. Es war aber eine Kluft, und ein Stein daraufgelegt.
39 Jesus sprach: Hebt den Stein ab! Spricht zu ihm Martha, die Schwester des Verstorbenen: HERR, er stinkt schon; denn er ist vier Tage gelegen.
40 Jesus spricht zu ihr: Habe ich dir nicht gesagt, so du glauben würdest, du würdest die Herrlichkeit Gottes sehen?
41 Da hoben sie den Stein ab, da der Verstorbene lag. Jesus aber hob seine Augen empor und sprach: Vater, ich danke dir, daß du mich erhört hast.
42 Doch ich weiß, daß du mich allezeit hörst; aber um des Volkes willen, das umhersteht, sage ich's, daß sie glauben, du habest mich gesandt.
43 Da er das gesagt hatte, rief er mit lauter Stimme: Lazarus, komm heraus!
44 Und der Verstorbene kam heraus, gebunden mit Grabtüchern an Füßen und Händen und sein Angesicht verhüllt mit dem Schweißtuch. Jesus spricht zu ihnen: Löset ihn auf und lasset ihn gehen!
45 Viele nun der Juden, die zu Maria gekommen waren und sahen, was Jesus tat, glaubten an ihn.

46 Etliche aber von ihnen gingen hin zu den Pharisäern und sagten ihnen, was Jesus getan hatte.
47 Da versammelten die Hohenpriester und die Pharisäer einen Rat und sprachen: Was tun wir? Dieser Mensch tut viele Zeichen.
48 Lassen wir ihn also, so werden sie alle an ihn glauben; so kommen dann die Römer und nehmen uns Land und Leute.
49 Einer aber unter ihnen, Kaiphas, der desselben Jahres Hoherpriester war, sprach zu ihnen: Ihr wisset nichts,
50 bedenket auch nichts; es ist uns besser ein Mensch sterbe für das Volk, denn daß das ganze Volk verderbe.
51 (Solches aber redete er nicht von sich selbst, sondern weil er desselben Jahres Hoherpriester war, weissagte er. Denn Jesus sollte sterben für das Volk;
52 und nicht für das Volk allein, sondern daß er auch die Kinder Gottes, die zerstreut waren, zusammenbrächte.)
53 Von dem Tage an ratschlagten sie, wie sie ihn töteten.
54 Jesus aber wandelte nicht mehr frei unter den Juden, sondern ging von dannen in eine Gegend nahe bei der Wüste, in eine Stadt, genannt Ephrem, und hatte sein Wesen daselbst mit seinen Jüngern.
55 Es war aber nahe das Ostern der Juden; und es gingen viele aus der Gegend hinauf gen Jerusalem vor Ostern, daß sie sich reinigten.
56 Da standen sie und fragten nach Jesus und redeten miteinander im Tempel: Was dünkt euch, daß er nicht kommt auf das Fest?
57 Es hatten aber die Hohenpriester und Pharisäer lassen ein Gebot ausgehen: so jemand wüßte, wo er wäre, daß er's anzeige, daß sie ihn griffen.
 
 
Kaiphas, der in jenem Jahr der Oberste Priester war, sagte: „... Seht ihr nicht, dass es euer Vorteil ist, wenn einer für alle stirbt und nicht das ganze Volk vernichtet wird?“ Johannes 11,49.50 (GNB).{CS 263.1}
Mit Kaiphas endete die Reihe der jüdischen Hohenpriester. Dieser stolze, anmaßende und boshafte Mann bewies, dass er eigentlich unwürdig war, jemals das Kleid des Hohenpriesters zu tragen. Er hatte weder die Fähigkeiten noch die Autorität vom Himmel für diese Aufgabe bekommen ... In Wirklichkeit war Kaiphas gar kein Hoherpriester. Er trug zwar Priesterkleidung, doch er hatte keine lebendige Beziehung zu Gott ...{CS 263.2}

Der fingierte Prozess gegen Christus zeigt, wie niederträchtig die Priesterschaft geworden war. Die Priester bestachen Zeugen, die unter Eid Falschaussagen machten, nur um Jesus verurteilen zu können. Siehe Matthäus 26,59.60. Doch bei dieser Gelegenheit kam Christus die Wahrheit zur Hilfe. Siehe Markus 14,56 ... Dabei wurde offenbar, dass die Zeugenaussagen, die gegen ihn gemacht wurden, allesamt falsch waren, denn die Zeugen waren von Menschen gekauft worden, die in ihren Herzen die niedrigsten Elemente der Verdorbenheit hegten. Doch Gott wollte, dass die Männer, die Jesus dem Tod auslieferten, vorher bezeugt bekamen, dass er unschuldig war. „Ich finde keine Schuld an ihm!“, erklärte Pilatus Johannes 18,38. Und als Judas den Priestern das Geld vor die Füße warf, das er für seinen Verrat an Christus bekommen hatte, bezeugte er: „Ich habe Unrecht getan, dass ich unschuldiges Blut verraten habe.“ Matthäus 27,4.{CS 263.3}


Einige Zeit vorher war der Oberste Rat der Juden zusammengerufen worden, um gemeinsam zu planen, wie man Christus verhaften und umbringen konnte. Da hatte Kaiphas gesagt: „Merkt ihr nicht, dass ihm die ganze Welt hinterherläuft?“ Einige Mitglieder des Rates meldeten sich zu Wort und baten die anderen inständig, ihre Leidenschaften und ihren Hass gegen Christus zu bremsen. Sie wollten ihn gerne vor der Hinrichtung bewahren. Ihnen antwortete Kaiphas: „Ihr wisst nichts und überlegt auch nicht, dass es euch nützlich ist (er hätte eigentlich sagen müssen: „einer korrupten Priesterschaft nützlich ist“), dass ein Mensch für das Volk sterbe und nicht die ganze Nation umkomme.“ (Johannes 11,49.50, EB). Diese Worte wurden von einem Menschen gesprochen, der sich ihrer Tragweite gar nicht bewusst war ... Er verurteilte den Einen, dessen Tod die Notwendigkeit eines symbolischen Versöhnungsdienstes überflüssig machte. Jesu Tod wurde in jedem gebrachten Tieropfer im Vornherein dargestellt. Die Worte des Hohenpriesters bedeuteten viel mehr, als er selbst und seine Anhänger ahnten. Siehe V. 51. Dadurch bezeugte er, ohne sich dessen bewusst zu sein, dass nun die Zeit gekommen war, in der das aaronitische Priestertum für immer aufhörte ...{CS 263.4}

Kaiphas
war im Amt, als die Abbilder und Schatten Realität wurden und der wahre Hohepriester sein Amt antrat ... Ganz unterschiedliche Persönlichkeiten — Gerechte und Ungerechte — bekleiden verantwortliche Positionen. Je nachdem, welchen Charakter sie entwickelt haben, werden sie ihre Rolle in der Erfüllung der Geschichte spielen. Manuskript 101, 1897.{CS 263.5}
 
Da der Sabbat in der ganzen Christenheit besonders umkämpft ist und Staat und Kirche sich vereinigt haben, die Beachtung des Sonntags zu erzwingen, wird die hartnäckige Weigerung einer kleinen Minderheit, der volkstümlichen Forderung nachzukommen, sie zum Ziel allgemeinen Fluches machen. Es wird hervorgehoben werden, daß die wenigen, die sich einer Verordnung der Kirche und den Verfügungen des Staates widersetzen, nicht geduldet werden sollten; daß es besser sei, diese leiden zu lassen, als daß ganze Nationen in Verwirrung und Gesetzlosigkeit gestürzt würden. Die gleiche Behauptung wurde vor mehr als 1800 Jahren von den Obersten des Volkes Israel gegen Christus aufgestellt. Der verschlagene Kaiphas sagte: „Es ist uns besser, ein Mensch sterbe für das Volk, denn daß das ganze Volk verderbe.“ Johannes 11,50.{GK 616.1}
 
Als die Ratlosigkeit der Versammelten ihren Höhepunkt erreicht hatte, erhob sich der Hohepriester Kaiphas, ein stolzer, grausamer Mann, herrschsüchtig und unduldsam. Unter des Kaiphas Verwandten befanden sich Sadduzäer, stolz, dreist und rücksichtslos, voller Ehrgeiz und Grausamkeit, die sie unter dem Deckmantel angeblicher Gerechtigkeit verbargen. Kaiphas hatte die Weissagungen durchforscht, und obgleich er ihre wahre Bedeutung nicht erkannte, sprach er mit großer Autorität und Überzeugungskraft: „Ihr wisset nichts; ihr bedenket auch nicht: Es ist euch besser, ein Mensch sterbe für das Volk, als daß das ganze Volk verderbe.“ Johannes 11,49.50. Jesus müsse diesen Weg gehen, drängte der Hohepriester, auch wenn er unschuldig sei. Er war ihnen lästig, weil er das Volk an sich zog und das Ansehen der Obersten schmälerte. Er war nur einer; es wäre besser, er stürbe, denn daß er die Macht der Obersten schwächte. Verlöre das Volk das Vertrauen zu seinen Führern, würde die nationale Kraft zerstört. Kaiphas behauptete, daß die Anhänger Jesu sich nach diesem Wunder wahrscheinlich zusammenrotten würden. Und dann werden die Römer eingreifen, so sagte er, und unseren Tempel schließen, unsere Gesetze aufheben und uns als Volk vernichten. Was zählt das Leben eines Galiläers gegenüber dem Bestand der Nation? Wenn er dem Wohlergehen des Volkes im Wege steht, erweisen wir Gott dann nicht einen Dienst, indem wir Jesus beseitigen? „Es ist euch besser, ein Mensch sterbe für das Volk, als daß das ganze Volk verderbe.“ Johannes 11,49.50.{LJ 532.2}
 
Mit dem Hinweis, daß ein Mann für das Volk sterben müsse, deutete Kaiphas seine Kenntnis der Prophezeiungen an, obgleich diese Kenntnis sehr begrenzt war. Doch Johannes nahm, in seinem Bericht von diesem Geschehen, diese Prophezeiung auf und zeigte ihre Bedeutung in ihrer ganzen Tragweite. Er schrieb: „Nicht für das Volk allein, sondern damit er auch die Kinder Gottes, die zerstreut waren, zusammenbrächte.“ Johannes 11,52. Wie mit Blindheit geschlagen war der hochmütige Kaiphas angesichts der Sendung des Heilandes! {LJ 532.3}

Auf den Lippen des Hohenpriesters wurde diese kostbarste Wahrheit in Lüge verkehrt. Die Ordnung, die er vertrat, gründete sich auf einen vom Heidentum übernommenen Grundsatz. Unter den Heiden hatte das dunkle Bewußtsein, daß einer für das Menschengeschlecht sterben müsse, zum Darbringen von Menschenopfern geführt. Aus der gleichen Auffassung heraus schlug Kaiphas vor, durch das Opfer Jesu das schuldig gewordene Volk zu retten — nicht von seinen Übertretungen, sondern in seinen Übertretungen, damit es in seiner Sünde fortfahren könne. Durch eine solche Begründung gedachte er die Einwände jener zu entkräften, die es wagen könnten zu sagen, daß nichts Todeswürdiges an Jesus zu finden sei.{LJ 533.1}


Im Verlaufe dieser Beratungen waren die Feinde Jesu gründlich überführt worden. Der Heilige Geist hatte ihre Herzen beeinflußt; doch Satan kämpfte um die Herrschaft über sie. Er lenkte ihre Aufmerksamkeit auf die Schwierigkeiten, die sie wegen Jesus auszustehen hatten. Wie gering achtete dieser ihre Gerechtigkeit! Jesus aber zeigte ihnen eine weitaus größere Gerechtigkeit, die alle besitzen müssen, die Kinder Gottes sein wollen. Ihren Formendienst und ihre Zeremonien nicht beachtend, hatte er die Sünder ermutigt, sich unmittelbar an Gott, den barmherzigen Vater, zu wenden und ihm ihr Anliegen vorzutragen. Nach Meinung des Hohen Rates war dadurch das Ansehen der Priesterschaft herabgesetzt worden, ja, Jesus hatte sich sogar geweigert, die Lehren der rabbinischen Schulen anzuerkennen. Die üblen Schliche der Priester waren von ihm enthüllt und ihr Ansehen in nicht wiedergutzumachender Weise geschädigt worden. Den Erfolg ihrer Grundsätze und Überlieferungen hatte er beeinträchtigt, indem er erklärte, daß sie das Gesetz Gottes aufhöben, obgleich sie seine rituellen Bräuche streng beachteten. All das rief ihnen Satan ins Gedächtnis zurück.{LJ 533.2}

Er beeinflußte die Priester und Obersten, daß sie unbedingt Jesus töten müßten, um ihre Autorität aufrechtzuerhalten, und — sie folgten seinem Rat. Die Tatsache, daß sie ihre Macht, die sie damals ausübten, verlieren könnten, war für sie — wie sie meinten — Grund genug, diese Entscheidung zu treffen. Außer einigen wenigen, die es aber nicht wagten, ihre Ansichten auszusprechen, nahm der Hohe Rat die Rede des Kaiphas als von Gott gegeben an. Die Versammelten fühlten sich entlastet, die Mißstimmung war beseitigt. Sie beschlossen, Jesus bei der ersten günstigen Gelegenheit zu töten. Indem sie den Beweis der Göttlichkeit Jesu ablehnten, hatten sich diese Priester und Obersten selbst in ein Netz undurchdringlicher Finsternis verstrickt. Sie waren gänzlich unter die Macht Satans geraten und damit dem ewigen Verderben preisgegeben. Dennoch glaubten sie Grund genug zu haben, mit sich selbst zufrieden zu sein. Sie hielten sich für Patrioten, die sich um das Heil der Nation verdient gemacht hatten. {LJ 533.3}

Der Hohe Rat fürchtete allerdings, übereilt zu handeln. Das Volk könnte in Wut geraten und die geplante Gewalttat sich gegen sie selbst wenden. Aus diesem Grunde verzögerte der Rat die Vollstreckung des Urteils, das er gefällt hatte. Der Heiland erkannte die Anschläge der Priester. Er wußte, daß es sie danach verlangte, ihn zu beseitigen, und daß ihre Absicht bald in Erfüllung gehen würde. Doch es war nicht seines Amtes, das Hereinbrechen der Entscheidungsstunde zu beschleunigen, und er zog sich mit seinen Jüngern aus dieser Gegend zurück. Auf diese Weise bekräftigte Jesus durch sein eigenes Beispiel die Unterweisung, die er den Jüngern gegeben hatte: „Wenn sie euch aber in einer Stadt verfolgen, so fliehet in eine andere.“ Matthäus 10,23. Es war ein weites Feld, in dem es für die Rettung der Menschen zu wirken galt, und sie sollten ihr Leben nicht gefährden, es sei denn, die Treue gegen ihn verlangte es.{LJ 534.1}

Der Heiland hatte bisher drei Jahre lang öffentlich gewirkt. Seine Selbstverleugnung und sein uneigennütziges Wohltun, sein Leben der Reinheit, sein Leiden und seine Hingabe waren allen Menschen bekannt. Dennoch war diese kurze Zeitspanne von drei Jahren so lang, wie die Welt die Gegenwart ihres Heilandes ertragen konnte.{LJ 534.2}

Jesu Leben war ein Leben unter Verfolgung und Schmähung gewesen. Aus Bethlehem von einem eifersüchtigen König vertrieben, von seinen Landsleuten in Nazareth verworfen, in Jerusalem ohne Ursache zum Tode verurteilt, fand Jesus mit seinen wenigen Getreuen vorläufige Zuflucht in einer fremden Stadt. Er, der stets von menschlichem Leid angerührt war, der die Kranken heilte, die Blinden sehen machte, den Tauben das Gehör und den Stummen die Sprache gab, der die Hungrigen speiste und die Betrübten tröstete, wurde von dem Volk vertrieben, das er erlösen wollte. Er, der auf den auf und ab wogenden Wellen ging und durch ein Wort ihr zorniges Brausen stillte, der die Teufel austrieb, die ihn im Entweichen noch als Gottes Sohn anerkannten, der den Schlaf des Todes brach und Tausende durch Worte der Weisheit überwältigte: er konnte nicht die Herzen derer erreichen, die durch Vorurteil und Haß verblendet waren und die das Licht des Lebens halsstarrig von sich wiesen. {LJ 534.3}
 
Hannas war das Oberhaupt der amtierenden Priesterfamilie. Mit Rücksicht auf sein Alter wurde er vom Volk als Hoherpriester anerkannt; sein Rat war gesucht und als Stimme Gottes geachtet. Darum mußte Jesus als Gefangener der Priester zuerst zu Hannas gebracht werden; dieser mußte bei dem Verhör dabeisein aus der Befürchtung heraus, der noch wenig erfahrene Kaiphas könnte ihre ausgeklügelte Anklagebegründung zum Scheitern bringen. Seine arglistige, schlaue und spitzfindige Art wurde bei diesem Fall gebraucht, um die Verurteilung Jesu unter allen Umständen zu sichern.{LJ 694.2}
 
Vor allem aber mußte ein ausreichender Anklagepunkt gefunden werden; bisher hatten sie jedoch nichts erreicht. Hannas befahl kurz entschlossen, den Herrn zu Kaiphas zu bringen. Dieser gehörte zu den Sadduzäern, die mit zu den erbittertsten Feinden Jesu zählten. Er war, obschon ihm jede charakterliche Stärke fehlte, genauso streng, unbarmherzig und gewissenlos wie Hannas; er würde kein Mittel unversucht lassen, um Jesus zu vernichten. Es war früh am Morgen und noch dunkel. Mit Fackeln und Laternen zog der bewaffnete Haufe mit Christus zum Palast des Hohenpriesters. Hier wurde, während sich unterdessen der Hohe Rat versammelte, der Herr wiederum von Hannas und Kaiphas verhört, aber auch jetzt ohne Erfolg.{LJ 698.1}

Als der Rat in der Gerichtshalle versammelt war, nahm Kaiphas seinen Platz als Vorsitzender dieser Versammlung ein. Auf beiden Seiten standen die Richter und alle, die ein sachlich begründetetes Interesse an dem Verhör hatten. Die römischen Soldaten standen auf einer Art Tribüne unterhalb des Präsidentenstuhles; vor diesem Stuhl stand Jesus. Alle Blicke waren auf ihn gerichtet; es herrschte ungeheure Aufregung im Saal. Nur Christus war ruhig und gelassen. Die unmittelbare Atmosphäre, die ihn umgab, schien von einer heiligen Kraft durchdrungen.{LJ 698.2}

Kaiphas hatte Jesus als seinen Nebenbuhler betrachtet; denn der Eifer des Volkes, ihn zu hören, und die offensichtliche Bereitschaft, seine Lehren anzunehmen, hatten die erbitterte Eifersucht des Hohenpriesters geweckt. Doch als Kaiphas auf den Gefangenen blickte, konnte er eine in ihm aufsteigende Bewunderung für dessen edles und würdiges Verhalten nicht unterdrücken. Es ging ihm auf, daß dieser Mann göttlicher Herkunft sein mußte. Doch schon im nächsten Augenblick wies er diesen Gedanken verächtlich von sich. Sogleich befahl er dem Herrn mit spöttischer, anmaßender Stimme, vor dieser erwählten Versammlung eines seiner mächtigen Wunder zu tun. Aber seine Worte fanden keinerlei Echo beim Herrn. Das Volk verglich das aufgeregte, bösartige Verhalten der Hohenpriester Hannas und Kaiphas mit der ruhigen, majestätischen Haltung Jesu. Selbst in den Herzen jener gefühllosen Menge erhob sich die Frage, ob dieser Mann von gottähnlichem Auftreten als ein Verbrecher verurteilt werden könne. {LJ 698.3}

Kaiphas bemerkte diesen Einfluß auf die Menge und beschleunigte das Verhör. Jesu Feinde waren in großer Verwirrung. Sie waren entschlossen, ihn zu verurteilen, aber sie wußten nicht, wie sie es machen sollten. Die Mitglieder des Rates setzten sich aus Pharisäern und Sadduzäern zusammen. Zwischen ihnen bestanden Spannungen und Feindschaften. Manche strittigen Themen wagte man aus Angst vor Zänkereien nicht anzusprechen. Mit wenigen Worten hätte Jesus ihre gegenseitigen Vorurteile erregen und so ihren Zorn von sich abwenden können. Kaiphas wußte das, und genau das wollte er vermeiden. Viele konnten bezeugen, daß Christus die Priester und Schriftgelehrten angegriffen und sie Heuchler und Mörder genannt hatte. Doch dieses Zeugnis reichte nicht aus, um gegen ihn vorzugehen, hatten doch die Sadduzäer bei ihren scharfen Auseinandersetzungen mit den Pharisäern ähnliche Ausdrücke gebraucht. Eine solche Anschuldigung hätten auch die Römer, die von dem anmaßenden Verhalten der Pharisäer angewidert waren, als belanglos angesehen. Es waren genug Beweise vorhanden, daß Jesus die Überlieferungen der Juden mißachtet und über viele ihrer Vorschriften unziemlich gesprochen hatte; doch bezüglich der Auslegung der Tradition standen sich Pharisäer und Sadduzäer feindlich gegenüber. Außerdem hätte eine solche Beweisführung keinerlei Eindruck auf die Römer gemacht. Die Feinde Jesu wagten es nicht, ihn wegen der Übertretung des Sabbatgebotes anzuklagen, weil sie fürchteten, daß eine Untersuchung das göttliche Wesen seines Wirkens offenbaren würde. Wenn nämlich seine Wundertaten alle bekannt würden, dann wäre die Absicht der Priester vereitelt.{LJ 699.1}
 
Kaiphas bemerkte diesen Einfluß auf die Menge und beschleunigte das Verhör. Jesu Feinde waren in großer Verwirrung. Sie waren entschlossen, ihn zu verurteilen, aber sie wußten nicht, wie sie es machen sollten. Die Mitglieder des Rates setzten sich aus Pharisäern und Sadduzäern zusammen. Zwischen ihnen bestanden Spannungen und Feindschaften. Manche strittigen Themen wagte man aus Angst vor Zänkereien nicht anzusprechen. Mit wenigen Worten hätte Jesus ihre gegenseitigen Vorurteile erregen und so ihren Zorn von sich abwenden können. Kaiphas wußte das, und genau das wollte er vermeiden. Viele konnten bezeugen, daß Christus die Priester und Schriftgelehrten angegriffen und sie Heuchler und Mörder genannt hatte. Doch dieses Zeugnis reichte nicht aus, um gegen ihn vorzugehen, hatten doch die Sadduzäer bei ihren scharfen Auseinandersetzungen mit den Pharisäern ähnliche Ausdrücke gebraucht. Eine solche Anschuldigung hätten auch die Römer, die von dem anmaßenden Verhalten der Pharisäer angewidert waren, als belanglos angesehen. Es waren genug Beweise vorhanden, daß Jesus die Überlieferungen der Juden mißachtet und über viele ihrer Vorschriften unziemlich gesprochen hatte; doch bezüglich der Auslegung der Tradition standen sich Pharisäer und Sadduzäer feindlich gegenüber. Außerdem hätte eine solche Beweisführung keinerlei Eindruck auf die Römer gemacht. Die Feinde Jesu wagten es nicht, ihn wegen der Übertretung des Sabbatgebotes anzuklagen, weil sie fürchteten, daß eine Untersuchung das göttliche Wesen seines Wirkens offenbaren würde. Wenn nämlich seine Wundertaten alle bekannt würden, dann wäre die Absicht der Priester vereitelt.{LJ 699.1}

Falsche Zeugen waren gedungen worden, um Jesus des Aufruhrs und des versuchten Landesverrats anzuklagen. Ihre Aussagen aber erwiesen sich als unklar und widerspruchsvoll. Im Verhör widerlegten sie ihre eigenen Behauptungen. {LJ 699.2}

Jesus hatte einst, am Beginn seines Dienstes, gesagt: „Brechet diesen Tempel ab, und in drei Tagen will ich ihn aufrichten.“ Johannes 2,19. In der bildhaften Sprache der Weissagung hatte er seinen Tod und seine Auferstehung vorhergesagt; „er ... redete von dem Tempel seines Leibes“. Johannes 2,21. Die Juden hatten diese Worte Jesu buchstäblich aufgefaßt und gemeint, sie bezögen sich auf den Tempel in Jerusalem. Unter allem, was Christus gesagt hatte, konnten die Priester nichts finden, um es gegen ihn zu verwenden, als nur diese Worte. Indem sie sie falsch auslegten, hofften sie, einen Vorteil zu gewinnen. Die Römer hatten zu dem Wiederaufbau und zu der Ausschmückung des Tempels beigetragen und waren stolz auf ihn; ihn zu mißachten, würde gewiß ihren Unwillen hervorrufen. Hier konnten Römer und Juden, Pharisäer und Sadduzäer sich einigen; denn sie alle hielten den Tempel in hohen Ehren. Es wurden zwei „Zeugen“ gefunden, deren Aussagen nicht so widerspruchsvoll waren wie die der beiden ersten. Einer von ihnen, der bestochen war, Jesus anzuklagen, sagte nun aus: „Er hat gesagt: Ich kann den Tempel Gottes abbrechen und in drei Tagen aufbauen.“ Matthäus 26,61. So wurden Jesu Worte entstellt, die selbst vor dem Hohen Rat zu einer Verurteilung nicht ausgereicht hätten, wenn sie wahrheitsgemäß wiedergegeben worden wären. Wäre Jesus nur ein einfacher Mann gewesen, wie die Juden behaupteten, so hätte man seine Äußerungen nur als Ausdruck eines unvernünftigen, prahlerischen Geistes werten und sie nicht als Lästerung hinstellen können. Selbst in der mißdeuteten Darstellung der falschen Zeugen enthielten seine Worte nichts, was von den Römern als todeswürdiges Verbrechen angesehen werden konnte.{LJ 700.1}

Geduldig hörte Jesus die sich widersprechenden Aussagen an; kein Wort äußerte er zu seiner Verteidigung. Schließlich verwickelten sich seine Ankläger in Widersprüche, wurden verwirrt und wütend. Das Verhör brachte keinerlei Fortschritte; es schien, als würden die Anschläge der Obersten fehlschlagen. Kaiphas war verzweifelt. Nun blieb nur noch eine letzte Möglichkeit offen: Christus mußte gezwungen werden, sich selbst schuldig zu sprechen. Der Hohepriester sprang von seinem Richterstuhl auf, sein Gesicht war vor Zorn entstellt, seine Stimme und sein Verhalten verrieten deutlich, daß er den vor ihm stehenden Gefangenen niederschlagen würde, wenn er dazu die Macht hätte. „Antwortest du nichts zu dem, was diese wider dich zeugen?“ (Matthäus 26,62) rief er aus. {LJ 700.2}
Jesus schwieg. „Als er gemartert ward, litt er doch willig und tat seinen Mund nicht auf wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird; und wie ein Schaf, das verstummt vor seinem Scherer, tat er seinen Mund nicht auf.“ Jesaja 53,7.{LJ 701.1}

Schließlich erhob Kaiphas seine rechte Hand zum Himmel und drang in Jesus: „Ich beschwöre dich bei dem lebendigen Gott, daß du uns sagest, ob du seist der Christus, der Sohn Gottes.“ Matthäus 26,63.{LJ 701.2}
Auf diese Frage mußte Jesus antworten. Es gibt eine Zeit zu schweigen, aber es gibt auch eine Zeit zu reden. Er hatte nicht gesprochen, bis er direkt gefragt wurde. Er wußte, daß diese Frage zu beantworten seinen Tod besiegeln würde; doch diese Aufforderung wurde von dem Vertreter der höchsten Obrigkeit des jüdischen Volkes und im Namen des Allerhöchsten an ihn gerichtet. Christus wollte nicht versäumen, dem Gesetz den schuldigen Respekt zu erweisen; darüber hinaus war seine ganze Beziehung zu seinem himmlischen Vater in Zweifel gezogen. Er mußte nun unmißverständlich sein Amt und seinen Auftrag bekennen; denn einst hatte er seinen Jüngern erklärt: „Wer nun mich bekennet vor den Menschen, den will ich auch bekennen vor meinem himmlischen Vater.“ Matthäus 10,32. Jetzt bekräftigte er diese Lehre durch sein eigenes Beispiel.{LJ 701.3}
 
Jesus schwieg. „Als er gemartert ward, litt er doch willig und tat seinen Mund nicht auf wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird; und wie ein Schaf, das verstummt vor seinem Scherer, tat er seinen Mund nicht auf.“ Jesaja 53,7.{LJ 701.1}
Schließlich erhob Kaiphas seine rechte Hand zum Himmel und drang in Jesus: „Ich beschwöre dich bei dem lebendigen Gott, daß du uns sagest, ob du seist der Christus, der Sohn Gottes.“ Matthäus 26,63.{LJ 701.2}
Auf diese Frage mußte Jesus antworten. Es gibt eine Zeit zu schweigen, aber es gibt auch eine Zeit zu reden. Er hatte nicht gesprochen, bis er direkt gefragt wurde. Er wußte, daß diese Frage zu beantworten seinen Tod besiegeln würde; doch diese Aufforderung wurde von dem Vertreter der höchsten Obrigkeit des jüdischen Volkes und im Namen des Allerhöchsten an ihn gerichtet. Christus wollte nicht versäumen, dem Gesetz den schuldigen Respekt zu erweisen; darüber hinaus war seine ganze Beziehung zu seinem himmlischen Vater in Zweifel gezogen. Er mußte nun unmißverständlich sein Amt und seinen Auftrag bekennen; denn einst hatte er seinen Jüngern erklärt: „Wer nun mich bekennet vor den Menschen, den will ich auch bekennen vor meinem himmlischen Vater.“ Matthäus 10,32. Jetzt bekräftigte er diese Lehre durch sein eigenes Beispiel.{LJ 701.3}
Jedes Ohr war gespitzt, jeder Blick unverwandt auf ihn gerichtet, als er antwortete: „Du sagst es.“ Ein himmlisches Licht schien sein bleiches Antlitz zu erleuchten, als er hinzufügte: „Auch sage ich euch: Von nun an wird‘s geschehen, daß ihr sehen werdet des Menschen Sohn sitzen zur Rechten der Kraft und kommen in den Wolken des Himmels.“ Matthäus 26,64.{LJ 701.4}
Für einen Augenblick leuchtete Christi Göttlichkeit durch seine menschliche Gestalt hindurch. Der Hohepriester wich vor den durchdringenden Blicken des Heilands zurück. Sie schienen seine geheimen Gedanken zu lesen und brannten in seinem Herzen. Sein Leben lang vergaß er nicht diesen forschenden Blick, den der gepeinigte Sohn Gottes auf ihn geworfen hatte.{LJ 701.5}
„Von nun an wird‘s geschehen“, sagte Jesus, „daß ihr sehen werdet des Menschen Sohn sitzen zur Rechten der Kraft und kommen in den Wolken des Himmels.“ Matthäus 26,64. Mit diesen Worten schilderte Jesus das Gegenteil der gegenwärtigen Lage. Er, der Herr des Lebens und aller Herrlichkeit, wird zur Rechten des Allerhöchsten sitzen und über die Erde richten. Gegen seine Entscheidung kann es keine Berufung geben. Dann werden alle Geheimnisse im Licht der Gegenwart Gottes offenbar, und über jeden Menschen wird das Urteil gesprochen werden nach seinen Werken.{LJ 702.1}
Jesu Worte erschreckten den Hohenpriester. Der Gedanke, daß es eine Auferstehung gebe, nach welcher alle Menschen vor dem Richterstuhl Gottes stehen und sie nach ihren Werken gerichtet würden, bereitete Kaiphas größtes Unbehagen. Er wollte nicht glauben, daß er nach seinem Tode den Urteilsspruch nach seinen Werken empfangen würde. Blitzschnell zogen an seinem geistigen Auge die Szenen des Jüngsten Gerichtes vorüber. Er sah die Gräber sich öffnen und die Toten hervorkommen mit all ihren Geheimnissen, die sie auf ewig verborgen gewähnt hatten. Er fühlte sich in diesem Augenblick selbst vor dem ewigen Richter stehen, der ihn mit einem Blick, dem alle Dinge offenbar sind, durchschaute und all seine Geheimnisse ans Licht brachte, die er mit sich ins Grab genommen hatte.{LJ 702.2}
Der Priester fand aus jenem Geschehen wieder in die Wirklichkeit zurück. Christi Worte hatten ihn, den Sadduzäer, bis ins Innerste getroffen. Er hatte die Lehre von der Auferstehung, dem Gericht und dem zukünftigen Leben geleugnet. Nun wurde er von satanischer Wut befallen. Sollte dieser Mann, ein Gefangener, seine vornehmsten Lehren angreifen? Er zerriß sein Kleid, damit alle Anwesenden seine angebliche Erregung wahrnehmen konnten, und forderte, den Gefangenen ohne weitere Verhandlungen wegen Gotteslästerung zu verurteilen. „Was bedürfen wir weiter Zeugnis?“ rief er. „Siehe, jetzt habt ihr seine Gotteslästerung gehört. Was dünkt euch?“ Matthäus 26,65.66. Da sprachen sie ihn alle des Todes schuldig.{LJ 702.3}
Überzeugung und Leidenschaft bewogen Kaiphas zu dem, was er tat. Er war auf sich selber wütend, weil er Christi Worten glaubte; aber statt sein Herz unter das tiefe Verlangen nach Wahrheit zu demütigen und Jesus als den Messias zu bekennen, zerriß er sein Priestergewand in entschlossenem Widerstand. Dieser Vorgang war von tiefer Bedeutung. Kaiphas wurde sich ihr kaum bewußt. Mit diesem Akt, der die Richter beeinflussen und die Verurteilung Christi herbeiführen sollte, verurteilte der Hohepriester sich selbst. Nach dem Gesetz Gottes war er zum Priestertum unfähig geworden. Er hatte sich selbst das Todesurteil gesprochen. {LJ 702.4}
Ein Hoherpriester durfte nicht sein Gewand zerreißen. Nach dem levitischen Gesetz war das bei Todesstrafe verboten; es durfte unter gar keinen Umständen, bei keiner Gelegenheit geschehen. Dabei gehörte es zum Brauch der Juden, beim Tode eines Freundes das Kleid zu zerreißen; nur die Priester waren davon ausgeschlossen. Christus hatte dazu durch Mose entsprechende Verordnungen gegeben. „Da sprach Mose zu Aaron und seinen Söhnen Eleasar und Ithamar: Ihr sollt euer Haupthaar nicht wirr hängen lassen und eure Kleider nicht zerreißen, daß ihr nicht sterbet und der Zorn über die ganze Gemeinde komme.“ 3.Mose 10,6.{LJ 703.1}
Jedes Kleidungsstück, das der Priester trug, mußte ganz und fehlerlos sein. Durch das vollkommene priesterliche Amtskleid sollte das makellose Wesen des großen Vorbildes Jesus Christus dargestellt werden. Allein die Vollkommenheit in Kleidung und Gebaren, in Wort und Geist war Gott angenehm. Gott ist heilig, und seine göttliche Herrlichkeit und Vollkommenheit mußten durch den irdischen Dienst versinnbildet werden; nur etwas Vollkommenes konnte die Heiligkeit des himmlischen Dienstes in geeigneter Weise darstellen. Der sterbliche Mensch mochte sein Herz zerreißen, indem er sich reuevoll und demütig zeigte; das würde Gott erkennen. Aber ein priesterliches Kleid mußte fehlerlos sein, sonst würde das Bild des Himmlischen entstellt werden. Der Hohepriester, der es wagte, mit einem zerrissenen Gewand an sein heiliges Amt zu gehen und den Dienst im Heiligtum auszuüben, wurde angesehen, als hätte er sich von Gott getrennt. Indem er sein Kleid zerriß, entäußerte er sich selbst seiner besonderen priesterlichen Eigenschaft. Eine Handlungsweise wie die des Kaiphas verriet menschlichen Zorn und menschliche Unvollkommenheit.{LJ 703.2}
Kaiphas machte durch das Zerreißen seines Gewandes das Gesetz Gottes wirkungslos, um menschlicher Überlieferung zu folgen. Eine menschliche Satzung gestattete einem Priester im Fall einer Gotteslästerung als Ausdruck des Abscheues vor der Sünde, seine Kleider zu zerreißen und dennoch schuldlos zu sein. So wurde Gottes Gebot durch Menschensatzungen aufgehoben. {LJ 703.3}
Jede Handlung des Hohenpriesters wurde vom Volk mit großer Aufmerksamkeit verfolgt, und Kaiphas wollte offen seine Frömmigkeit zeigen. Doch in seinem Tun, das als Anklage gegen Christus gedacht war, schmähte er den, von dem Gott gesagt hatte, daß sein Name in ihm sei. 2.Mose 23,21. Er selbst, Kaiphas, beging eine freventliche Lästerung. Und während er unter dem Verdammungsurteil Gottes stand, verurteilte er Christus als Gotteslästerer.{LJ 704.1}
Als Kaiphas sein Gewand zerriß, zeigte diese Handlung an, welche Position die Juden als Volk Gott gegenüber einnehmen würden. Das einst begünstigte Volk Gottes trennte sich von ihm und wurde bald eine Nation, zu der Jahwe sich nicht mehr bekannte. Als Christus am Kreuz ausrief: „Es ist vollbracht!“ und der Vorhang im Tempel zerriß, erklärte der heilige Wächter, daß das jüdische Volk den verworfen hatte, der das Vorbild ihres ganzen Gottesdienstes, das Wesen aller ihrer „Schatten“ war. Israel war von Gott geschieden. Kaiphas mochte wohl sein Amtsgewand zerreißen, das ihn als Repräsentanten des großen Hohenpriesters auswies; denn es hatte von nun an keine Bedeutung mehr für ihn und sein Volk. Durchaus mit Recht konnte der Hohepriester aus Entsetzen vor sich und seinem Volk sein Kleid zerreißen.{LJ 704.2}
Der Hohe Rat hatte Jesus die Todesstrafe zuerkannt; nach dem jüdischen Gesetz aber war es strafbar, einen Gefangenen in der Nacht zu verhören. Eine rechtskräftige Verurteilung konnte nur am Tage vor einer vollzähligen Versammlung des Hohen Rates geschehen. Trotzdem wurde der Heiland jetzt wie ein abgeurteilter Verbrecher behandelt und der Willkür niedrigster und gemeinster Knechte überlassen. Der Palast des Hohenpriesters umschloß einen großen Hof, in dem sich Soldaten und viele Neugierige versammelt hatten. Über diesen Hof wurde Jesus in den Wachraum geführt, begleitet von spöttischen Bemerkungen über seinen Anspruch, der Sohn Gottes zu sein. Seine eigenen Worte, daß sie sehen würden „des Menschen Sohn sitzen zur Rechten der Kraft und kommen in den Wolken des Himmels“ (Matthäus 26,64), wurden ihm immer wieder höhnisch entgegengerufen. Niemand schützte ihn, während er im Wachraum auf sein rechtmäßiges Verhör wartete. Der unwissende Pöbel hatte die Roheit gesehen, mit der er vor dem Hohen Rat behandelt worden war; deshalb erlaubten sie sich, alle satanischen Züge ihres Wesens hervorzukehren. Christi würdevolles und gottähnliches Verhalten reizte ihren Zorn. Seine Sanftmut, seine Unschuld und seine göttliche Geduld erfüllten sie mit satanischem Haß. Barmherzigkeit und Gerechtigkeit wurde mit Füßen getreten. Niemals wurde ein Verbrecher so unmenschlich behandelt wie der Sohn Gottes. {LJ 704.3}
Doch eine tiefere Qual zerriß das Herz des Heilandes: der Schlag, den er hinnehmen mußte, kam nicht von eines Feindes Hand. Während er vor Kaiphas die Niederträchtigkeiten des Verhörs ertrug, verleugnete ihn einer seiner Getreuesten.{LJ 705.1}
Nachdem die Jünger ihren Meister im Garten Gethsemane verlassen hatten, wagten es zwei von ihnen, Petrus und Johannes, der Schar, die Jesus gefangengenommen hatte, in einiger Entfernung zu folgen. Den Priestern war Johannes als Jünger Jesu gut bekannt. Sie gestatteten ihm den Zutritt zum Verhandlungshaus in der Hoffnung, daß er sich als Zeuge der Demütigung Jesu von der Auffassung lossage, daß dieser Gottes Sohn sei. Durch Johannes erhielt auch Petrus die Erlaubnis, das Gebäude zu betreten.{LJ 705.2}
Im Hof hatte man ein Feuer angezündet; denn es war die kälteste Stunde der Nacht, kurz vor Anbruch der Dämmerung. Eine Anzahl Menschen umstanden das Feuer, und Petrus drängte sich dreist mitten unter sie. Er wollte nicht als Jünger Jesu erkannt werden. Indem er sich unbekümmert unter die Menge mischte, hoffte er für einen von denen gehalten zu werden, die Jesus zum Gerichtsgebäude gebracht hatten.{LJ 705.3}
Doch als ein Feuerschein auf sein Gesicht fiel, warf die Türhüterin einen prüfenden Blick auf ihn. Sie hatte ihn mit Johannes kommen sehen, hatte ihm auch seine gedrückte Stimmung gleich am Gesicht ablesen können und daher vermutet, daß dieser Mann ein Jünger Jesu sei. Sie gehörte zu den Dienerinnen im Hause des Kaiphas und war sehr neugierig. So sprach sie zu Petrus: „Du warst auch mit dem Jesus aus Galiläa.“ Matthäus 26,69. Petrus erschrak und wurde verwirrt; alle schauten ihn an. Da tat er so, als hätte er sie nicht verstanden. Doch die Magd war hartnäckig, und sie sagte zu den Umstehenden, daß dieser Mann mit Jesus zusammen gewesen war. Petrus fühlte sich dadurch zu einer Antwort genötigt und erwiderte ärgerlich: „Ich weiß nicht und verstehe nicht, was du sagst.“ Markus 14,68. Das war die erste Verleugnung, und unmittelbar darauf krähte der Hahn. O Petrus, so bald schon schämst du dich des Meisters, so bald schon verleugnest du deinen Herrn! {LJ 705.4}
Johannes hatte beim Betreten der Gerichtshalle gar nicht erst zu verbergen gesucht, daß er ein Nachfolger Jesu war. Er mischte sich nicht unter das grobe Volk, das seinen Herrn mit Schmähungen überhäufte. Es fragte ihn auch niemand; denn er verstellte sich nicht und setzte sich so keiner Verdächtigung aus. Er wählte sich eine einsame Ecke, wo er der Aufmerksamkeit des Pöbels verborgen blieb, aber doch Jesus so nahe wie möglich war. Hier konnte er alles sehen und hören, was beim Verhör seines Herrn vor sich ging.{LJ 706.1}
Petrus hatte sich nicht zu erkennen geben wollen. Indem er sich jetzt gleichgültig stellte, begab er sich auf den Boden des Feindes und wurde eine leichte Beute der Versuchung. Wäre er berufen worden für seinen Meister zu kämpfen, er wäre bestimmt ein tapferer Streiter gewesen. Als man aber mit Verachtung auf ihn schaute, erwies er sich als Feigling. Viele, die den offenen Kampf für ihren Herrn nicht scheuen, werden durch Spott und Hohn dahin gebracht, ihren Glauben zu verleugnen. Durch den Umgang mit Menschen, die sie meiden sollten, lassen sie sich auf den Weg der Versuchung locken. Sie fordern den Feind geradezu heraus, sie zu verführen, und sie sagen und tun schließlich das, woran sie unter anderen Umständen niemals schuldig geworden wären. Der Nachfolger Christi, der in unseren Tagen seinen Glauben aus Furcht vor Leiden und Schmähungen nicht frei bekennt, verleugnet seinen Herrn genauso wie einst Petrus auf dem Hofe des Gerichtshauses.{LJ 706.2}
 
 
 
 
 
 
 
 
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